Als ich in Mansilla um 6 aufstehe, bin ich fast schon der letzte. Haben also alle ihre geäußerten Ängste, in Leon kein Bett zu kriegen, in Aktion umgesetzt. Langsam kommt mir das mehr wie ein Rennen als eine Pilgerfahrt vor. Von der Kleidung bin ich auf mäßige Temperatur eingestellt, doch es ist saukalt. Bestimmt deutlich unter 10 grad. Die erhoffte schnelle Erwärmung durch die aufgehende Sonne bleibt aus, dafür verschärft ein deutlicher Wind das Frösteln. Da hilft weder verschärftes Gehtempo noch der Blick aus den senioren Italiener in Shorts und T-Shirt vor mir. Das Überziehen der Windjacke über Langarmhemd und Outdoor-Jacke reduziert das Frieren auf den Grenzwert, das Hochziehen der Kapuze bringt noch ein bisschen. D
Kategorie: Allgemein
Tag 18: Mansilla de las Mulas – auf halbem Weg nach Leon (15.06.14)
Um ehrlich zu sein – gestern war ich etwas niedergeschlagen. Wegen meiner Blasen. Sie waren heftig. Besonders die neue, die sich aus dem pfenniggroßen Bläschen an der rechten Ferse entwickelt hatte. Groß wie zwei 2-Euro-Stücke. Der Nachmittag im Garten tat mir gut. Aber der Arzt hatte geschlossen. So beschloss ich, morgen mit dem Zug nach Leon zu fahren. Der Herbergschef zeigte mir einen Zettel mit 8.11 Uhr. also morgen früh nach Leon.
Frühstück im Restaurant, ich frage zur Sicherheit nach dem Weg zum Bahnhof. Die beiden Jungs sagen mir überzeugend, dass es heute am Domenico keinen Zug gäbe. Wirklich nicht. Ich muss mir trotzdem den Bahnhof anschauen. Auf dem Bahnsteig steht eine 35-jährige Französin, die auch auf den Zug wartet. Eigentlich wollte sie heute bis Leon laufen, 40 km, hatte sie schon gestern geschafft. Aber ihre rechte Wade ist heiß, und sie hat Angst vor einem Exhibistionisten, den sie gesehen hat. Für ihre Wade gebe ich ihr Mineralien-Pulver fürs Trinkwasser. Sie heißt Deborah und arbeitet für den führenden Tauchgeräte-Hersteller Frankreichs Nähe Nizza. Wir warten auf den Zug. Bis 8:06, wie auf dem Fahrplan, dann bis 8:11, wie ich genannt bekam, und noch 10 Minuten. Langsam aber sicher hat sich meine Einstellung in Richtung Wandern gewandelt. Die Französin ist auch bereit, wir gehen los. Sie hat den gleichen Schrittrythmus wie ich, das erleichtert das Gehen. Heute Morgen habe ich meine Jogging-Adidas angezogen in der Überzeugung, im Zug und in Leon wären sie besser für meine Blasen als die Stiefel. Aber jetzt machen sie sich richtig gut. Ich bin gut drauf, meine Stimmung hat sich wieder aufgehellt. Das schlechte Gefühl fürs Zugfahren statt Laufen (Mogeln?) ist weg. Es läuft einfach wieder gut. Unterhaltung ist nur schwer möglich, weil sie kaum Englisch und ich kein Französisch kann. Nach 1,5 Stunden sehe ich jemand fotografieren – es ist doch tatsächlich das AUS-NL-Pärchen. Wir kommen ihnen kaum näher, dann biegen sie auf einen Rastplatz ab. Ich erkläre ihr, dass wir Brother and Sisters in Blister wären, und sie gibt mir gleich einen Stadtplan von Leon mit einer Klinik und dem Arzt, wo sie selbst war. Santiago hat uns offensichtlich wieder treffen lassen.
In Reliegos kaufen wir uns Obst und machen am Ortsende Pause. Ich inspiziere meine Blasen und bin ganz zufrieden. Auf Anraten von Deborah creme ich meine Füße nochmals. Das hätte ich schon früher machen sollen, nicht erst seit der Blasenetappe vor 5 Tagen.
Am Ortseingang von Mansilla schauen wir nach nach der Bushaltestelle – heute geht einer um 18Uhr nach Leon – doch Deborah will nicht alleine fahren, und ich bin zuversichtlich, dass ich die 20km morgen mit meinen Blasen gut hinkriege. Eine Spanierin führt uns zur kommunalen Herberge, welche als kultig beschrieben ist. Von den 50 Betten sind gerade noch 7 frei, und das um 1/2 1 Uhr! Der Innenhof (15 x 15 m) ist total bevölkert, wieder bekannte Gesichter. Essen, Wäsche Waschen, Reden, alles läuft hier auf engem Raum ab. Um 3/4 5 Uhr kommt ein Kerl in Pfarrerhemd und Camouflage-Shorts und fragt mich, wem die Getränke gehören, weil er den Tisch für die Messe benutzen wolle. Und ich dachte, die angeschrieben Messe wäre in der Kirche nebenan. Also Messe im Herbergshof. Der Pfarrer hält auch seine Messe knackig, er stellt sich als amerikanischer Militärpfarrer vor, z. Zt. auf dem Camino, er sei in Afghanistan gewesen, seine (Camouflage-)Stola hätte er von einem Kaplan, der im Irak gewesen sei. Die Messe läuft in Englisch und Latein, seine Predigt hat was Mitreisendes. Später sehe ich ihn mit jungen Leuten Karten spielen. Solche Begeisterer bräuchten wir mehr.
Ich schreibe im Hof Bericht, da kommt die Herbergsmutter mit einer Bäumsäge und fragt, wer Probleme mit Blasen hätte. Ich biete ihr meinen Fuß zum Amputieren an, sie sagt in astreinem Deutsch, sie käme gleich mit dem Verbandszug vorbei. Sie drückt das Wasser aus den Blasen, desinfiziert sie und verklebt sie fachgerechte. In zwei Tagen wäre alles vorbei. Als ich mir die Zähne putze, sehe ich, wie sich Leute im Hof als Pilger verkleiden – Mords Gaudi, Fotogelegenheiten.
Im Hof unten ist noch Gitarre und Gelächter, doch ich denke, ich kann trotzdem schlafen. Leon wartet.
Tag 17: Durch Sahagun nach El Burgo Ranero (14.06.14)
Ich will schon loslaufen, da sehe ich Bewegung in der Bar. Die beiden Chicas machen mir auf und ich bekomme meinen Americano plus Croisant. Das AUS-NL-Paar und auch Can aus Korea kommen runter, ich laufe los. Von San Nicolás nach Sahagún sind es 7,5 km. Es ist schon angenehme warm, bald kann ich im bloßen Hemd laufen. Heute hab ich mir mal Leitungswasser in den Tank, schmeckt scheußlich. Auf halben Weg treffe ich auf einen älteren Spanier. Er bedauert, dass wegen meiner mangelnden Spanisch-Kenntnisse keine Unterhaltung möglich ist. Er hält mich davon ab, den Umweg zur ausgeschilderten Kapelle zu nehmen, weil sie geschlossen ist. Sonst habe ich bis jetzt niemand gesehen. Am Ortseingang setzt er sich hin, ich gehe den Weg weiter – hinter den Bahngleisen, über sie drüber zur großen Kirche. Sie ist vom Bauzaun umgeben und geschlossen. 9 Uhr, normal für Spanien. Am der übernächsten Straßenecke ist eine Bar offen, Pilger sitzen davor. Pause ist mir noch zu früh. Im Supermarkt danebenschoss ich mir zwei Pfirsiche und gehe weiter. In dieser Straße wir es immer schmuddeliger, zwei Hand voll Kids stehen rum, jetzt sehe ich die Inschriften der beiden Diskos. Dann geht es gleich zur Stadt hinaus, über eine schöne Brücke mit einem Steinkreuz davor. Ein schönes Bild, das ich von Shagún in Erinnerung behalten werde. Vorbei an einer Camping-Anlage komme ich bald wieder auf die Schotterpiste nach Bercianos. Landschaft immer noch Meseta, eintönig, Sonne, am Wegrand zum Glück einige Bäumchen. Und keine Pilger zu sehen, weder vor noch hinter mir. Ich versuche es mit Singen, geht aber auch nicht lang. Dann hänge ich meinen Gedanken nach, kann mal meine Problemchen wälzen.
Am Ortseingang von Bercianos ist eine einladende Bar. Kakao-Stopp. Der Chef spricht mich auf Deutsch an, ich will ihn nicht auf das Spanien-Spiel gestern ansprechen. Vor der Bar sitzend sehe ich jetzt eine ganze Reihe Pilger vorbeiziehen, auch bekannte, wie das AUS-NL-Paar. Wassertank auffüllen, es sind jetzt 1,5 Stunden nach El Burgo Ranero. Meine Füße rufen sehr heftig nach Aufhören. Ich habe heute die 24 km geplant, mehr nicht. Versprochen. Ich habe Glück und bekomme gerade noch einen Platz in der Albergue Laguna. Zum Einchecken muss ich etwas warten, da mache ich Bekanntschaft mit einem braungebrannten Vierziger, den ich Schon gesehen habe. Er stellt sich als Andreas aus Sachsen-Anhalt vor. Er ist seit dem 3. März unterwegs, von zu Hause losgegangen. Weil sein Vater vier Monate im Koma lag und im Februar gestorben ist. Er ist seit Saint Jean mit einer sechsköpfigen Gruppe aus Italienern, Franzosen und Argentiniern zusammen. Weil die beiden Frauen Probleme mit der Hitze haben, werden sie heute Nacht nach Leon marschieren.
Die Herberge hat einen großen Garten, den kann ich genießen, denn es ist erst kurz nach ein Uhr. Nach Duschen usw. Mache ich mein Nickerchen auf einer Gartenliege, dann schreibe ich Bericht. Da die Herberge kein Essen anbietet, gehe ich jetzt ins Dorf. Ich setze mich zu einem Australier (ca. 55), der von seiner Firma in Sidney entlassen wurde. Jetzt will er nachdenken, was er tun soll. Vom Nebentisch hören wir, dass Australien heute gegen Chile verloren hat. Von ihm erfahre ich, dass ich Sahagún Unrecht getan habe: Sie hatten am Vortag Stiertreiben durch die Stadt und dann bi in den Morgen gefeiert – ich habe also die verkaterte Stadt gesehen.
Obwohl die Sonne noch stechend scheint, macht der heftige Wind sehr ungemütlich, man kann außen nicht mehr sitzen. Zwanzig nach Neun, es wird sehr ruhig in der Anlage. Zu-Bett-Geh-Zeit.
Tag 16: Die Hitze der Meseta (13.06.14)
Laut Reiseführer soll jetzt der härteste Streckenabschnitt kommen: von Carrión de los Condes nach Calzadilla de la Cueza, weil: 18 km, kein Dorf, durch die Meseta, ohne Baum und Strauch. Ergebnis: Um 6 Uhr war der Schlafsaal (24 Betten) bis auf 3 leer. Ich glaube, die ersten waren schon um 5 auf. Der Holländer erzählte mir zwei Dörfer später, dass er wegen der schlimmen Blasen seiner Frau mit ihr schon um 4 los wäre. Mondschein sei ausreichend gewesen.
Jedenfalls kippte ich heute 2,5 Liter Wasser in meine Rucksack-Tank. Beim Frühstück traf ich Ernst und Herbert, wir waren uns schnell einig, dass alles viel Getöse und Angst der (vor allem jungen) Pilger sei. Um halb sieben startete ich dann. An der Stadtgrenze überholte ich mein Koreaner-Ehepaar und biege dann auf die Pilger-Autobahn ein. Unglaublich: Pilger, soweit das Auge reicht. Und die Strecke ist schnurgerade. Die Wegqualität lässt höheres Tempo zu, also darf sich meine Gehmaschine auf Eigenfrequenz einstellen. Ich überhole Bekannte und Unbekannte, z. B. den fülligen Asiaten, der gestern Abend um halb sieben völlig erschöpft in die Herberge kam und einen Platz im Flur bekam, oder das lustige Asiatenpärchen, das gut in die Landschaft passt (Don Qijote und Sancho Pansa), den lauten Italiener, besonders viele Junge. Die ersten 1,5 Stunden ist der Weg voll beschattet – da haben die Spanier gute Arbeit geleitet. Dann werden die Bäume und Büsche langsam weniger, aber immer noch schattenspendend. Und dann die Überraschung: Eine „Autobahnraststätte“, bewirtet. Die Plätze sind schon voll. Und eine halbe Stunde später die nächste, ohne Bewirtung. Schuhe ausziehen, um Steine zu entfernen, das Küchenstückchen von gestern Abend essen. Die amerikanische Abendessen-Tischnachbarin bietet mir Kirschen an, dann ist der Boxenstopp gemacht. Trinken tue ich laufend von meinem H2O- System, das ist schon sehr praktisch. Dann nach einer Linkskurve kommt das Zieldorf, es ist erst 3/4 10! Guter Lauf! In der Bar ist Hochbetrieb, viele Bekannte, auch der koreanische Pfarrer mit seiner Truppe. Kakao-Pause. Wasser nachfüllen. Mindestens ein Dorf weiter, es sind ja erst 18 km. Dort bin ich eine Stunde später, in der Bar treffe ich wie erwähnt das niederländisch-australische Paar. Sie schreibt auf ihrem Mac-Book den Reisebericht, er fotografiert ja. Schönes Zusatz-Gewicht. Aber ich gehe auch weiter, es ist erst 11. Für die nächste Ortschaft ist mir Aufhören auch noch zu früh, in Terradillos de Templarios haben die Templer eine von außen sehr ansprechende Herberge, aber sie ist nicht optimal bewertet. Ich verspreche meinen Füßen, im folgenden Moratinos Schluss zu machen. Dort sehe ich die drei Alaska-Girls in Richtung Herberge gehen. Im Garten sitzen vier Gäste und meinen, der Wirt würde bald kommen. Da sich nach 5 min nichts tut, stehen die drei wieder auf und gehen. Motiviert mich, mit zu gehen. In San Nicolás geht das Einchecken flott, im OG sind die getrenntgeschlechtlichen Schlafräume und umfangreiche Sanitärräume. Duschen, Hemd und Socken waschen, Nickerchen machen. Es waren heute 34 km. Respekt.
Zum Glück gibts gutes Wifi. Bericht schreiben. Ich gehe mal um Haus und Kirche. Brutale Hitze. Bestimmt 35 Grad. Jetzt um 5. Santa Missa nur an Domingo, 11 Uhr. Das NL-AUS-Pärchen ist auch eingetroffen. Und da trotz ihrer Blasen! Im Gärtchen wäscht ein Radler-Gast seine Packtaschen. Sollte ich vielleicht meine Schuhe auch mal schrubben? Sie bräuchtens dringend, doch die Lust ist gering. Ich ringe mich durch, unten kommt zur Tür herein – ich glaube es nicht – der füllige Asiate. Jetzt um 6 Uhr! Und in der Hitze! Der gibt sich aber alles! Diesen Namen muss ich mir merken: Can Tsin Tchun. Aus Korea. Ü
Um 1/2 8 gibts Abendessen, sonst nichts im Dorf.
Um 9 Uhr kommt Spanien gegen NL. Dann wird’s laut werden in der Bar unten.
Tag 14: Im D-Zug-Tempo nach Fromista (11.06.14)
Nach Wunsch-Frühstück (Kaffee, O-Saft und süßem Stückchen) ging’s um 3/4 7 Uhr los, nach 1 km geht hinter mir die Sonne auf. Dann zieht es sich zu, was sich dann als angenehm erweist. Gegen 9 sind nämlich die Wolken weg und die Sonne sticht, am Nachmittag wird es richtig heiß. Bei den drei z. T. steilen Aufstiegen bewirkt da Schweißbäche. Aber meine Maschine läuft konstant zuverlässig, an den Steigungen überholen mich nur zwei sportlich gekleidete Italiener. Das passiert noch 3 mal. Vor Castrojeriz treffe ich 3 Lehrerinnen aus Alaska, eine davon war mal in Starnberg in der Munich International School (u. A. Kleinfeld-Kinder). Um 10:30 bin ich am Kloster San Nicolás, wo die 12 Übernachtungsgäste die Füsse gewaschen bekommen. Hier bleiben reizt, aber das bedeutet 1/2 Tag! So gehe ich weiter, nach Itero de la Vega mache ich Obst-Mittagessen mit 4 jungen Koreaner. Lustigerweise kommt später „mein“ koreanisches Ehepaar vorbei. Auf der Strecke kommen zwei seniore Jungs (meine Altersklasse) entgegen. Auf meine Frage erklären sie, dass sie nach Lourdes unterwegs seien, von Santiago kämen und in Lissabon gestartet seien. Wow! In Boadilla del Camino trinke ich Kakao und beschließe, dass zwei Uhr noch zu früh ist, um aufzuhören. Fromista, ich komme! Übernachtung habe ich in der Bahnhofsherberg, das ist die umgebaute Güterhalle neben dem Bahnhof. Bin gespannt, wieviel Züge heute Nacht durch den Schlafraum donnern. Zwei Auto-Transporter und ein Avé waren Schon da. Mit Hupe. Dann kommen noch zwei Pärchen, so sind wir zu fünft zum Übernachten. Mit dem ersten unterhalte ich mich angeregt, sie ist Australierin um war wegen Blasen gerade beim Arzt. (Da will ich meine heute erworbenen vier Blasen gar nichts sagen.) Er ist Holländer, Frotograf und beide gehen nach dem Camino nach Australien. Um 8 gehe ich in der Pilgermesse. Sie ist glücklicherweise in der St. Martins-Kirche, dem weltberühmten romanischen Bau von 1066. Das Vorbild für viele romanische Kirchen. Ein vollkommen proportionierter Raum mit versch. Kapitelen als einzige Schmuckelemente. Tief beeindruckend.
Tag 15: Auf der Pilgerautobahn (12.06.14)
Der Reiseführer beschreibt den heutigen Weg als Pilger-Autobahn. Passt. Denn nach der Brücke an der Stadtgrenze blicke ich auf eine kilometerlange, schnurgerade, zwei Meter breite Piste mit Pilgern wie an der Perlenschnur. Etliche haben im Ort vorher übernachtet, wie ich auch vor hatte, sind also schon eine Stunde länger als ich auf den Beinen. Wie „mein“ Koreaner-Ehepaar und die drei Alaska-Girls. Weil mein Motor wieder optimal läuft und die Blasenschmerzen verdrängen kann, überhole ich etliche Unbekannte: Laute Italiener (der mit dem Sonnenschirm als Hut war gestern in der Pilgermesse), ruhige Franzosen-Paare, ein gemischtes Brasilien-Spanien-Paar und vier junge Koreaner. Der Weg geht so weiter, in Villamentero mit der über dem Dorf thronenden Kirche gibts den geplanten Kakao und Wassertank-Nachfüllung, um dann nach den zweiten 10 km um halb 12 in Carrión de los Condes an meiner Wunsch-Pfarrer-Herberge anzukommen. Zunächst sehe ich sie nicht vor lauter Marktständen, doch dann fallen mir die 30 z. T. jungen Leute in der Reihe auf. Die Herberge öffnet erst um 12, und so komme ich ins Gespräch mit den Koreanern vor mir. Davon stellt sich einer als 34-jährigen Japaner heraus, der z. Zt. auf Welt- Tour ist. Der Sonnenbebrillte, der in Deutsch anfängt, ist katholischer Pfarrer und hat in Bonn promoviert und dort für die China-Mission strategisch gearbeitet. Erzählt interessante Dinge. Jetzt ist er im Süden Koreas Gemeindepfarrer. Er verrät mir, dass er 50 ist. Für Europäer schwer zu erkennen. Und warum sind so viele Koreaner auf dem Camino? 40% aus religiösen Gründen. Und in Korea (10% Katholiken) sei der Camino recht bekannt.
Als die Tür aufgeht, steht eine freundliche junge Nonne da und weist alle ein. Drei freiwillige weibliche Hospitaleros ziehen die Anmeldung und Einweisung durch. 48 Gäste sind gleich eingebuchtet, die zwei Schlafräume sind voll. Gut gelaufen heute Morgen! Die Schwester gibt noch den Tagesablauf bekannt: um 17:30 Andacht, dann gemeinsames Singen; um 20:00 Pilgermesse und anschl. Gemeinsames Abendessen. Jeder bringt was mit, z. B. selbstgekochtes Landestypsches. Mhm. Bin gespannt.
Jetzt muss ich los, denn ich brauche was für morgen, denn da kommt die härteste Einzelstrecke: 18 km ohne Dorf und Wasser. Da stehen die Ersten bestimmt schon um 5 Uhr auf!
Tag 13: In die Meseta (10.06.14)
Meine drei Mitpilger wollten eigentlich länger schlafen, doch dann gehen sie doch mit mir zum Frühstück in die Bar gegenüber. Dann ein wirklich finales Verabschieden und ich gehe los. An der Kathedrale ein letzter bewundernder Blick, ein Foto vom Storch auf der kleinen Kirche ein Paar Schritte weiter, dann gilt die volle Aufmerksamkeit den Muscheln und Pfeilen für den Camino. Dann bin ich bald auf der Schotterpiste, km- weit eben. Im ersten Dorf, Tardajos, nach 11 km ist die Bar am Dorfeingang schon gut besetzt: Auch die drei Ungarinnen machen schon ausgiebig Brotzeit. Ich nehme eine Kakao und kaufe für mein Mittagpicknick noch zwei Tomaten und ein bisschen Wurst. Das habe ich nach den nächsten Dorf, Hornillos del Camino, in weiteren 9 km geplant. Ich schaffe das Dank meiner verschärften Gangart, und so bleibt mir der letzte 10 km-Abschnitt für 1 bis 3 Uhr.
Seit Rabè de las Calzadas bin ich in der Meseta, das ist eine Hochebene, in den wenigen Tälern liegen die Dörfer. Das bedeutet für Peregrinos einen steilen Anstieg nach dem Dorf und eine ebenso steilen Abstieg ins Dorf hinunter. Genau wir hier in Hontanas, wo ich in die kommunale Herberge bin. Das ist hier ein rühriges Dorf, es gibt noch drei private Herbergen, und am Dorfeingang wird ein Haus neu verputzt. Die Dorfstraße ist bevölkert, auch die Einwohner sitzen mit dabei und unterhalten sich lautstark. Ernst hat sich heute mit seinem Mitpilger Herbert ein Doppelzimmer geleistet (wegen des Schnarchkonzerts letzte Nacht), das Koreaner-Ehepaar vom 2. Tag sitzt neben mir auf der Sonnenseite, sie häkelt. Auf meine Frage hin, was das wohl sei, schenkt sie mir einen ihrer gehäkelten Topfputzer. Abendessen bekam ich auf Wunschzeit gekocht, also bin ich schon fertig für heute.
Morgen wartet wieder eine 30km- Etappe auf mich, gerne würde ich in der kleinen Herberge von St. Nicolás unterkommen. Früh Aufstehen!
Tag 12: Burgos: Kastiliens Pracht (09.06.14)
In der Albergue gibts kein Frühstück, also gehen in den kleinen Laden, in dem wir gestern unsere Brotzeit gekauft haben. Die Chefin ist fix, ich nehme einen Café Amerikano und eine Apfelschnitte. Dann gehts flott los.
Der Aufstieg bis ca. 1000 m ist über einen sehr steinigen Weg bis zu einem Holzkreuz, wo wir etliche Bekannte beim Fotografieren treffen. Auf der Hochebene gehts einige km, bis wir an der Kante zu einer wunderbaren Aussicht kommen: Die hügelige Niederung liegt vor uns, Links und rechts am Horizont etliche Windparks, aber in der Mitte Burgos. Müssten bis zur Kathedrale ca. 15 km sein. Nach dem Abstieg erreichen wir eine breite Schotterstraße, die geradeaus direkt in Richtung Kathedrale zielt. Doch dann werden wir unerwartet nach Links geleitet. Wir folgen der Wegbeschilderung – dann wir uns klar: Wir sollen durch einige Dörfer gehen, damit diese die Chance habe, etwa zu verdienen. Dann kommen wir an die Stadtgrenze von Burgos. Industriegebiet. Es zieht sich. Zwei Stunden, bis wir die Innenstadt erreichen. Doch dann ein Blick durch die Gasse: Die Kathedrale.
Nach 10 Minuten, dann sind wir an der städtischen Herberge, 100 m zum Dom. Weit über 100 Plätze, aber durch die 4-er Kojen mit Waschbecken gut gestaltet. Professionell. Dann gehen wir essen – Pizza. Jetzt sind wir bereit für den bisherigen Höhepunkt des Camino, die Kathedrale. Ein unglaubliches Bauwerk, innen wie außen. Wir machen die Führung per Audioguide. Nach zwei Stunden habe ich den Eindruck, jetzt bräuchte ich einen ganzen Tag, um alles in Ruhe anzuschauen.
Abends in der Pilgermesse in der Seitenkapelle erleben wir noch – zeitlich passend- ein Pfingstwunder: das Vaterunser hören wir in klarem Deutsch! Anschließend gehen wir noch zur Allee am Flussufer, um unsere gemeinsame Zeit bei einem San Miguel ausklingen zu lassen.
Tag 11: Ein unspektakulärer Pilgertag (08.06.14)
Kurz vor sechs Uhr werden wir geweckt – wie von Pepe angekündigt, mit italienischer Marschmusik – gestern Abend gabs ja Arien und Chöre.
Das Frühstück ist gewohnt spanisch-spartanisch. Es wird schnell warm, um die Fleecejacke abzulegen, obwohl wir auf 900m Höhe unterwegs sind, weil es windstill ist. Da kommt schnell das Gespräch auf die weitere Planung: Bettina und Richard sind morgen in Burgos am Ziel , weil sie vor 6 Jahren schon die Tour von Burgos nach Santiago gemacht haben. Manfred wir mit dem Zug bis Leon fahren, weil seine Tochter über Santiago zu ihm stößt, um dann die Strecke mit ihrem Vater bis Santiago zu gehen. So ist das 4-er Team ab Burgos aufgelöst, ich werde dann alleine weiter gehen.
Wir haben eine längere Strecke auf dem Hochplateau auf ca. 1000m Höhe auf einer breiten, gerodeten Brandschneise. Auf dem kargen Boden gibts eine ganz eigene Vegetation mit z. B. purpurner Glockenheide und vielen verschiedenen Polstern, dazu viele Schmetterlinge und Eidechsen. Dann gehts wieder hinunter in die Ebene mit den Dörfern. Vor alxxxxx ist ein großes Infozentrum zu den Ausgrabungsfunden: Die ältesten Europäer, älter als die Neandertaler, ca. 800.000 Jahre alt. Im Ort selbst gefällt uns die kommunale Heberge, wir checken ein um gehen jetzt zum Abendessen in ein Restaurant.
Tag 10: Nach Kastilien und die „kleine Rioja“ (07.0614)
Der größte Teil der Übernachter waren zum offiziellen Frühstück um 7 Uhr schon weg. Von den 50 waren noch 15 da. Wie begrüßt, so wurden wir von beiden Hospitaleros verabschiedet: mit einer dicken Umarmung. Mit tiefen Eindrücken verlassen wir Grañòn. Belorado ist heute das Minimalzziel. Vor dem nächsten Dorf treffen wir auf die Tafel von Kastilien/Leon, die folgenden Orte tragen als Namenszusatz „Rioja“, nach der Landschaft passt das auch. Bei den täglichen Begegnungen kann ich meine Rucksackstudien weiter treiben, welche ich zur Entscheidung für meinen gemacht habe. Von der Größe sehe ich 30 l bis 60 l, das Gros bewegt sich um die 40 l. Und zwar unabhängig von Männlein und Weiblein. Noch kleinere sehe ich nur bei Kurzwanderern bis auf einen, dem traue ich den ganzen Weg mit dem Minimalgepäck zu. Ich fühle mich in meiner Wahl bestätigt, besonders auch deshalb, weil bei mir nie was äußern dran hängt. In Villamajor gibts nur ein Nobelrestaurant ohne Rucksack-Zugang, das hilft, bis nach Belorado durchzulaufen. Dort finden wir auf dem schön gestalteten Plaza Major eine passende Bar mit Tischen in der Sonne. Daneben sitzt dass Senioren-Radler-Trio aus Valencia, die wir schon in Villamajor gesprochen haben. Ernst (Geseke, Westfalen) und sein Partner Herbert sitzen vor dem anderen Restaurant. Dann gehts weiter, in Vilambista gibts nur noch zwei Plätze in der Herberge – die Alte will auch noch 16€! Bettina meint, wir sollen schauen, dass wir eine Herberge bekommen. Also geben wir – Richard und ich – ordentlich Gas und finden am Ortsausgang von Espinosa del Camino die Albergue de Pepe: Wenns Innen auch so aussieht wie das Haus außen, schlafe ich lieber auf dem Feld. Doch die Pilgerin, die vor dem Haus sitzt und die wir kennen, sagt, es wäre innen sauber. Pepe erscheint in der Hautür, bärtig, fast so alt wie sein Haus, und hat schon das Kärtchen mit den Herbergsregeln in der passenden Sprache in der Hand: Ü+F 7,- €, AE auf Spende (es gibt Paella). Um 19:30. Pepe sitzt an der Stirnseite des Tisches, als alle 8 Gäste da sind, wünscht er guten Appetit und fordert zur Selbstbedienung des Salats und des Rioja auf mit „no vino – no peregrino“. Den zweiten Gang, Paella, serviert er jeden selbst. Zum Nachtisch gibts Yoghurt. Dann ist Erzählstunde: Pepe berichtet, dass er Schreiner ist und aus Barcelona stammt, dass er 5 mal auf dem Camino war und sein Traum sei, auf dem Camino zu sterben. Dazu will er sein Haus verkaufen und dann wieder los gehen. Gefragt nach dem Kerkeling- Buch, legt er richtig los, schimpft auf die Radfahrer und wettert über die, welche mit Stempeln aus nur Roncesvalles, Pamplona und Logroño bei ihm ankommen und sagen, sie wären Peregrinos. Angesprochen hem auf seinen Hausverkauf, bekommen wir eine komplette Führung. Es ist alles sauber, einige Möbelstücke sind wirklich gepflegte Raritäten.