Um ehrlich zu sein – gestern war ich etwas niedergeschlagen. Wegen meiner Blasen. Sie waren heftig. Besonders die neue, die sich aus dem pfenniggroßen Bläschen an der rechten Ferse entwickelt hatte. Groß wie zwei 2-Euro-Stücke. Der Nachmittag im Garten tat mir gut. Aber der Arzt hatte geschlossen. So beschloss ich, morgen mit dem Zug nach Leon zu fahren. Der Herbergschef zeigte mir einen Zettel mit 8.11 Uhr. also morgen früh nach Leon.
Frühstück im Restaurant, ich frage zur Sicherheit nach dem Weg zum Bahnhof. Die beiden Jungs sagen mir überzeugend, dass es heute am Domenico keinen Zug gäbe. Wirklich nicht. Ich muss mir trotzdem den Bahnhof anschauen. Auf dem Bahnsteig steht eine 35-jährige Französin, die auch auf den Zug wartet. Eigentlich wollte sie heute bis Leon laufen, 40 km, hatte sie schon gestern geschafft. Aber ihre rechte Wade ist heiß, und sie hat Angst vor einem Exhibistionisten, den sie gesehen hat. Für ihre Wade gebe ich ihr Mineralien-Pulver fürs Trinkwasser. Sie heißt Deborah und arbeitet für den führenden Tauchgeräte-Hersteller Frankreichs Nähe Nizza. Wir warten auf den Zug. Bis 8:06, wie auf dem Fahrplan, dann bis 8:11, wie ich genannt bekam, und noch 10 Minuten. Langsam aber sicher hat sich meine Einstellung in Richtung Wandern gewandelt. Die Französin ist auch bereit, wir gehen los. Sie hat den gleichen Schrittrythmus wie ich, das erleichtert das Gehen. Heute Morgen habe ich meine Jogging-Adidas angezogen in der Überzeugung, im Zug und in Leon wären sie besser für meine Blasen als die Stiefel. Aber jetzt machen sie sich richtig gut. Ich bin gut drauf, meine Stimmung hat sich wieder aufgehellt. Das schlechte Gefühl fürs Zugfahren statt Laufen (Mogeln?) ist weg. Es läuft einfach wieder gut. Unterhaltung ist nur schwer möglich, weil sie kaum Englisch und ich kein Französisch kann. Nach 1,5 Stunden sehe ich jemand fotografieren – es ist doch tatsächlich das AUS-NL-Pärchen. Wir kommen ihnen kaum näher, dann biegen sie auf einen Rastplatz ab. Ich erkläre ihr, dass wir Brother and Sisters in Blister wären, und sie gibt mir gleich einen Stadtplan von Leon mit einer Klinik und dem Arzt, wo sie selbst war. Santiago hat uns offensichtlich wieder treffen lassen.
In Reliegos kaufen wir uns Obst und machen am Ortsende Pause. Ich inspiziere meine Blasen und bin ganz zufrieden. Auf Anraten von Deborah creme ich meine Füße nochmals. Das hätte ich schon früher machen sollen, nicht erst seit der Blasenetappe vor 5 Tagen.
Am Ortseingang von Mansilla schauen wir nach nach der Bushaltestelle – heute geht einer um 18Uhr nach Leon – doch Deborah will nicht alleine fahren, und ich bin zuversichtlich, dass ich die 20km morgen mit meinen Blasen gut hinkriege. Eine Spanierin führt uns zur kommunalen Herberge, welche als kultig beschrieben ist. Von den 50 Betten sind gerade noch 7 frei, und das um 1/2 1 Uhr! Der Innenhof (15 x 15 m) ist total bevölkert, wieder bekannte Gesichter. Essen, Wäsche Waschen, Reden, alles läuft hier auf engem Raum ab. Um 3/4 5 Uhr kommt ein Kerl in Pfarrerhemd und Camouflage-Shorts und fragt mich, wem die Getränke gehören, weil er den Tisch für die Messe benutzen wolle. Und ich dachte, die angeschrieben Messe wäre in der Kirche nebenan. Also Messe im Herbergshof. Der Pfarrer hält auch seine Messe knackig, er stellt sich als amerikanischer Militärpfarrer vor, z. Zt. auf dem Camino, er sei in Afghanistan gewesen, seine (Camouflage-)Stola hätte er von einem Kaplan, der im Irak gewesen sei. Die Messe läuft in Englisch und Latein, seine Predigt hat was Mitreisendes. Später sehe ich ihn mit jungen Leuten Karten spielen. Solche Begeisterer bräuchten wir mehr.
Ich schreibe im Hof Bericht, da kommt die Herbergsmutter mit einer Bäumsäge und fragt, wer Probleme mit Blasen hätte. Ich biete ihr meinen Fuß zum Amputieren an, sie sagt in astreinem Deutsch, sie käme gleich mit dem Verbandszug vorbei. Sie drückt das Wasser aus den Blasen, desinfiziert sie und verklebt sie fachgerechte. In zwei Tagen wäre alles vorbei. Als ich mir die Zähne putze, sehe ich, wie sich Leute im Hof als Pilger verkleiden – Mords Gaudi, Fotogelegenheiten.
Im Hof unten ist noch Gitarre und Gelächter, doch ich denke, ich kann trotzdem schlafen. Leon wartet.