Tag 22: In die Berge von Leon: bis Foncebadón vor den Cruz de Ferro (19.06.14)

Tag22_9 Tag22_8 Tag22_7 Tag22_6 Tag22_5 Tag22_4 Tag22_3 Tag22_2 Tag22_1Am Plaza Major in Astorga bin ich der erste in der Bar zum Frühstück. Nach mir kommen gleich die zwei Senioren-Ehepaare aus Münster, die ich gestern an der „freundlichen Pilgerin“ überholt hatte. Aus der Stadt hinaus treffe ich wieder mal Sergio (aus Santos, Brasilien), der mir von seiner schmerzenden Sehne erzählt, aber auch dass er mich gestern vor der Kathedrale fotografiert hätte. Da er langsamer laufen wolle, ziehe ich weiter. Im nächsten Ort gibt es eine Abzweigung zu einem Abstecher nach Castrillo los Polvozales, einem super hergerichteten und wiederbeleben Ort, der vorher verwaist war wie etliche Dörfer hier. Der Rückweg nach Santa Catalina de Somosa verlangt Pfadfinderqualitäten, dank der Karte auf dem iPhone gerate ich nicht in Panik. In Castrillo gibt es O-Saft und Kakao, die Münsteraner kommen auch wieder. In El Ganso fülle ich nochmal meinen Wassertank in der Cowboy-Bar, denn ich habe ja noch mind. zwei Stunden. Bisher war der Weg sehr angenehm, die Landschaft freundlich mit magerer Vegetation aber viel Blühedem und Schmetterlingen, kaum Landwirtschaft – wir sind in der Maragatería! Doch zwei km vor Rabanal del Camino wird der Weg steil und steinig, ein Vorgeschmack auf den weiteren Weg. Denn wir sind jetzt gut 1000 m hoch, das Cruz de Ferro ist aber 1517 m! Rabanal, der klangvolle Name, kündigt einen sauber hergerichteten, auch auf Touris eingestellten Ort mit noblen Restaurants an. Kein Wunder, heute sind schon ein Studiosus-Reisebus und ein Radler-Begleitbus (mit Fahrradanhänger) vorbei gerauscht. Am Ortseingang darf ich mich als Falkner versuchen, der Ritter macht das gegen Spende. Dann kaufe ich mir als Mittagessen eine Fischsuppe und einen Americano. Dabei kann ich die Triumph- Fahrt des neuen Königs durch Madid im TV anschauen. Angesprochen auf den neuen König, winkt der Einheimische neben mir nur ab, mit zugehöriger Mimik. Vom anderen Tisch her höre ich sowas wie „Franco“. Naja.
Foncebadón ist geplant, als noch knapp zwei Stunden. Der Ort wurde erst vor 15 Jahren wieder aufgebaut, dabei hat angeblich hier im 10. Jahrhundert ein Konzil stattgefunden! Wegen Mittagskoma und steilem Anstieg gehts eben nur langsamer, aber ich muss nicht hetzen. Die meisten, denke ich, bleiben in Rabanal. In der alternativ angehauchten Herberge treffe ich u. A. Herti von Angelika von Saint Jean. Hertie gesteht, dass sie mehrere Strecken mit dem Bus gefahren sei. Gibts jetzt immer mehr. Wir das Chicka- Team aus Hannover, das mit Bus- Etappen in zwei Wochen nach Santiago will.
Jetzt ist es 7 Uhr, es gibt AE, Salat und Paella. Bin gespannt. Bei mir am Tisch sitzen Paula und Camilla (Mutter und Tochter) aus Brescia (Gardasee), der Italiener Leonardo aus Italien, den ich schon öfter getroffen habe, Alex aus Madrid (Ex-Venezuelaner), der jeden Tag 50 km lief, um rauszukriegen, ob er wirklich so jung ist, wie er sich fühlt, André aus Slowakien, der wegen mangelnder Verdienstmöglichkeiten in UK arbeitet. Als Vorspeise gibt ausgeschnittene Hartwurst Kind Schinken mit Weißbrot, die Paella kommt auf Tellern, dazu eine große Schüssel Salat zum Selbst-Anmachen. Als Nachspeise gibts leider keinen selbstgemachten Yoghurt von der eigenen Ziege, also Eis bzw. frisches Obst. Dann gehen alle Richtung Schlafraum.

Tag 21: Über den Rio Orbigo nach Astorga (18.06.14)

Tag21_9 Tag21_8 Tag21_7 Tag21_6 Tag21_5 Tag21_4 Tag21_3 Tag21_2 Tag21_1Fabio wartet geduldig auf mich, weil ich noch eine ausführliche Fußpflege durchziehe. Um 7 dann laufen wir los, ohne Frühstück. Weil in diesem Dorf keine Bar Frühstück anbietet. Und die Herbergschefin auch nicht, kann ich verstehen. Der nächste Ort ist Hospital de Órbigo, eine Stunde Weg. Also Frühstück. Und dann kommt die berühmte Brücke über den Rio Orbigo mit anschließender Flutbrücke, 19 Bögen lang. Erinnert mich an Höchstadt, wo sie die neue, 50 Jahre alte Betonbrücke abreißen müssen. Warum halten unsere Brücken nicht mehr?
Dann nehmen wir die schönere Route durch die Dörfer Villares de Órbigo, danach gehts durch Hügel, Feld und Wald. An einer Wegkreuzung suchen wir ratlos einen gelben Pfeil, bis wir endlich den mannsgrossen Pfeil mitten auf dem Weg sehen. Auf der Anhöhe Treffen wir auf eine „freie“ Verpflegungsstation mit jeder Menge frischem Obst, betrieben von David aus Barcelona mit seinem Freund. Nach 2km kommt schon das große Steinkreuz, von dem aus man einen herrlichen Blick auf die Ebene mit Astorga hat. Am Wegrand nach unten sitzt ein Gittarist, der jede „Peregrina“ ansingt in der Hoffnung auf Münzen.
Am Ortseingang von Astorga geht die Straße steil hoch, weil die ganze Altstadt auf einem Hügel mit einem gigantischen Mauerring liegt. Meine Herberge liegt gleich am Anfang, Fabio will heute noch zwei Orte weiter. Für mich passen die 23 km heute. Auch wenn es erst halb zwölf ist. Ich habe Glück und bekomme ein 4-Bett-Zimmmer. Nach Kultivieren und Siesta ist Sightseeing angesagt. Im Outdoor-Geschäft erzählt mir der Besitzer aus der Schweiz, dass er hier als Alternativer ein Verlassenes Dorf mir wiederbelebt hat und dann wegen seiner Kinder nicht mehr zurückkam.
Berühmt in Astorga sind die Kathedrale im Stil-Mix und der Bischofspalast von Gaudi, den man heute im Vergleich zu vor 19 Jahren besichtigen kann. Jetzt sitze ich wie damals vor dem Palast, warte heute aber auf Herbert und Ernst, um mit ihnen zum AE zu gehen. Sie sind nicht die einzigen bekannten Mitpilger in der Herberge.

Tag 20: 310 km bis Santiago – Ultreia! (17.06.14)

Tag20_3 Tag20_2 Tag20_1Im Studentenwohnheim werde ich ganz liebevoll von den älteren Damen verabschiedet, dann gehe ich nochmal an der Kathedrale vorbei, um sie im Morgenlicht zu sehen. Der Weg aus der Stadt dauert eine volle Stunde. Am Stadtrand laufe ich auf eine gemischte Gruppe auf, die auch die schönere Wegalternative gehen will: Scott (43) aus Canada, Juki (28?) aus Japan und Ewen aus Irland, rothaarig, 22, Musikstudent. Er textet mich total zu, und so übersehe ich die eigentlich unübersehbaren Hinweise auf den Abzweig zur älteren, aber schöneren Wegalternative. Scott bemerkt es 100m später, beim Zurückgehen begegnen wir der Truppe von Andreas aus Sachsen-Anhalt. Sie wollen km machen, deshalb gehen sie den Weg entlang der Schnellstraße.
Hinter dem nächsten Ort kommen wir an eine „freie“ Verpflegungsstation mit frischem und trockenem Obst, Schokolade-Riegel usw. Da bekomme ich meinen heute schon vermissten frischend O-Saft, von Hand gepresst. Bezahlung ist hier auf Spende! Auf der Bank vor uns sitzen Ernst und Herbert und amüsieren sich über unsere beiden Hundekrauler. Dann gehts weiter, Meseta-Landschaft. Uns kommen auf dem Feldweg nur zwei riesige Traktoren mit ungewöhnlichen Maschinen (Scrabber) entgegen. Was die wohl hier in der brachen Landschaft tun? Scott erklärt mir, dass die Bauern in Canada „kein Geld verdienen“, aber alles vom Größten und Feinsten hätten – kommt mir bekannt vor. Wie in der EU. In der nächsten Ortschaft ist Mittagspause, auch weil Juki nickt. Laut Scott geht es ihr nicht gut, aber bei Asiaten ist ja immer alles in Ordnung. Ernst und Herbert kommen auch in die Bar und holen sich ihr Bocadillo. Ich mache noch Fußpflege, dann gehts weiter. Scott liest mir aus seinem Führer vor, dass hier in der Gegend eine eigene Kultur existiert, die Mazarife, ca. ein Dutzend Dörfer. Stammt angeblich von Berbern aus N- Afrika, die im Schlepptau der Mauren hierher kamen. In Villar de Mazarife macht das Trio Halt, sie haben hier die Herberge gebucht. Der an der Verpflegungsstation zu uns gestoßene Italiener (Fabio, 32?) will weitergehen , denn er hat erst in Leon angefangen und hat nur gut zwei Wochen Urlaub. Ich befrage meine Füße, sie geben grünes Licht. Los gehts. Fabio legt ein gutes Tempo vor, entspricht meiner „Kampfgeschwindigkeit“. Wie auf der „Pilgerautobahn“. Wasser habe ich nachgetankt, also kann nichts passieren.
Nach einer scharfen Kurve sehen wir im Schatten eine Fee sitzen –
Shiny und Chris! Richtig, heute hatten wir uns noch nicht getroffen (wie bisher jeden Tag seit Fromista – ohne jede Absprache. Unglaublich.)
Jetzt ist wieder Ackerbau, riesige Felder. Geht hier dank Bewässerung aus dem großen Kanal (aus den Bergen?) mit verzeigten Verteiler- Wasserrinnen. Dann kommt schon Villavante. Km 32. Halb vier. Die Herberge ist wie beschrieben in einem neuen Haus, alles bicobello, mit freundlichen Wirten und einem kommunikativen Papagei. 22 Betten, AE für 9 €. Da brauche ich gar nicht mehr aus dem Haus zu gehen. Kultivieren, Füße checken und pflegen – sie sind o. k.. Wanderstiefel heute war offensichtlich eine gute Wahl.
Fabio holt mich zum Abendessen. Er erklärt mir, dass ihm morgen auch Astorga (meine Planung, 23 km) genügt. Eine versteckte Ansage, dass er gerne mit mir gehen will?
In der Herberge gibts keinen TV-Kanal für WM-Fußball. Die Chefin verteilt WM-Kalender – eine nette Geste. Nach dem Essen fotografiere ich meinen Bart, mit Fabio gehe ich dann zur (einzigen?) Bar im Dorf, ob es dort Fußball gibt. Die Bar ist total leer. Also kein Fußball heute, macht nix. Wäre eh nur Belgien gegen Algerien. Also schreibe ich den Blog fertig.

Tag 19: Mit 1500 Schafen in Richtung Leon (16.06.14)

Tag19_5 Tag19_4 Tag19_3 Tag19_2 Tag19_1Als ich in Mansilla um 6 aufstehe, bin ich fast schon der letzte. Haben also alle ihre geäußerten Ängste, in Leon kein Bett zu kriegen, in Aktion umgesetzt. Langsam kommt mir das mehr wie ein Rennen als eine Pilgerfahrt vor. Von der Kleidung bin ich auf mäßige Temperatur eingestellt, doch es ist saukalt. Bestimmt deutlich unter 10 grad. Die erhoffte schnelle Erwärmung durch die aufgehende Sonne bleibt aus, dafür verschärft ein deutlicher Wind das Frösteln. Da hilft weder verschärftes Gehtempo noch der Blick aus den senioren Italiener in Shorts und T-Shirt vor mir. Das Überziehen der Windjacke über Langarmhemd und Outdoor-Jacke reduziert das Frieren auf den Grenzwert, das Hochziehen der Kapuze bringt noch ein bisschen. D

Tag 18: Mansilla de las Mulas – auf halbem Weg nach Leon (15.06.14)

Tag18_3 Tag18_3 Tag18_5 Tag18_4 Tag18_3 Tag18_2 Tag18_1Um ehrlich zu sein – gestern war ich etwas niedergeschlagen. Wegen meiner Blasen. Sie waren heftig. Besonders die neue, die sich aus dem pfenniggroßen Bläschen an der rechten Ferse entwickelt hatte. Groß wie zwei 2-Euro-Stücke. Der Nachmittag im Garten tat mir gut. Aber der Arzt hatte geschlossen. So beschloss ich, morgen mit dem Zug nach Leon zu fahren. Der Herbergschef zeigte mir einen Zettel mit 8.11 Uhr. also morgen früh nach Leon.
Frühstück im Restaurant, ich frage zur Sicherheit nach dem Weg zum Bahnhof. Die beiden Jungs sagen mir überzeugend, dass es heute am Domenico keinen Zug gäbe. Wirklich nicht. Ich muss mir trotzdem den Bahnhof anschauen. Auf dem Bahnsteig steht eine 35-jährige Französin, die auch auf den Zug wartet. Eigentlich wollte sie heute bis Leon laufen, 40 km, hatte sie schon gestern geschafft. Aber ihre rechte Wade ist heiß, und sie hat Angst vor einem Exhibistionisten, den sie gesehen hat. Für ihre Wade gebe ich ihr Mineralien-Pulver fürs Trinkwasser. Sie heißt Deborah und arbeitet für den führenden Tauchgeräte-Hersteller Frankreichs Nähe Nizza. Wir warten auf den Zug. Bis 8:06, wie auf dem Fahrplan, dann bis 8:11, wie ich genannt bekam, und noch 10 Minuten. Langsam aber sicher hat sich meine Einstellung in Richtung Wandern gewandelt. Die Französin ist auch bereit, wir gehen los. Sie hat den gleichen Schrittrythmus wie ich, das erleichtert das Gehen. Heute Morgen habe ich meine Jogging-Adidas angezogen in der Überzeugung, im Zug und in Leon wären sie besser für meine Blasen als die Stiefel. Aber jetzt machen sie sich richtig gut. Ich bin gut drauf, meine Stimmung hat sich wieder aufgehellt. Das schlechte Gefühl fürs Zugfahren statt Laufen (Mogeln?) ist weg. Es läuft einfach wieder gut. Unterhaltung ist nur schwer möglich, weil sie kaum Englisch und ich kein Französisch kann. Nach 1,5 Stunden sehe ich jemand fotografieren – es ist doch tatsächlich das AUS-NL-Pärchen. Wir kommen ihnen kaum näher, dann biegen sie auf einen Rastplatz ab. Ich erkläre ihr, dass wir Brother and Sisters in Blister wären, und sie gibt mir gleich einen Stadtplan von Leon mit einer Klinik und dem Arzt, wo sie selbst war. Santiago hat uns offensichtlich wieder treffen lassen.
In Reliegos kaufen wir uns Obst und machen am Ortsende Pause. Ich inspiziere meine Blasen und bin ganz zufrieden. Auf Anraten von Deborah creme ich meine Füße nochmals. Das hätte ich schon früher machen sollen, nicht erst seit der Blasenetappe vor 5 Tagen.
Am Ortseingang von Mansilla schauen wir nach nach der Bushaltestelle – heute geht einer um 18Uhr nach Leon – doch Deborah will nicht alleine fahren, und ich bin zuversichtlich, dass ich die 20km morgen mit meinen Blasen gut hinkriege. Eine Spanierin führt uns zur kommunalen Herberge, welche als kultig beschrieben ist. Von den 50 Betten sind gerade noch 7 frei, und das um 1/2 1 Uhr! Der Innenhof (15 x 15 m) ist total bevölkert, wieder bekannte Gesichter. Essen, Wäsche Waschen, Reden, alles läuft hier auf engem Raum ab. Um 3/4 5 Uhr kommt ein Kerl in Pfarrerhemd und Camouflage-Shorts und fragt mich, wem die Getränke gehören, weil er den Tisch für die Messe benutzen wolle. Und ich dachte, die angeschrieben Messe wäre in der Kirche nebenan. Also Messe im Herbergshof. Der Pfarrer hält auch seine Messe knackig, er stellt sich als amerikanischer Militärpfarrer vor, z. Zt. auf dem Camino, er sei in Afghanistan gewesen, seine (Camouflage-)Stola hätte er von einem Kaplan, der im Irak gewesen sei. Die Messe läuft in Englisch und Latein, seine Predigt hat was Mitreisendes. Später sehe ich ihn mit jungen Leuten Karten spielen. Solche Begeisterer bräuchten wir mehr.
Ich schreibe im Hof Bericht, da kommt die Herbergsmutter mit einer Bäumsäge und fragt, wer Probleme mit Blasen hätte. Ich biete ihr meinen Fuß zum Amputieren an, sie sagt in astreinem Deutsch, sie käme gleich mit dem Verbandszug vorbei. Sie drückt das Wasser aus den Blasen, desinfiziert sie und verklebt sie fachgerechte. In zwei Tagen wäre alles vorbei. Als ich mir die Zähne putze, sehe ich, wie sich Leute im Hof als Pilger verkleiden – Mords Gaudi, Fotogelegenheiten.
Im Hof unten ist noch Gitarre und Gelächter, doch ich denke, ich kann trotzdem schlafen. Leon wartet.

Tag 17: Durch Sahagun nach El Burgo Ranero (14.06.14)

Tag17_4 Tag17_3 Tag17_2 Tag17_1Ich will schon loslaufen, da sehe ich Bewegung in der Bar. Die beiden Chicas machen mir auf und ich bekomme meinen Americano plus Croisant. Das AUS-NL-Paar und auch Can aus Korea kommen runter, ich laufe los. Von San Nicolás nach Sahagún sind es 7,5 km. Es ist schon angenehme warm, bald kann ich im bloßen Hemd laufen. Heute hab ich mir mal Leitungswasser in den Tank, schmeckt scheußlich. Auf halben Weg treffe ich auf einen älteren Spanier. Er bedauert, dass wegen meiner mangelnden Spanisch-Kenntnisse keine Unterhaltung möglich ist. Er hält mich davon ab, den Umweg zur ausgeschilderten Kapelle zu nehmen, weil sie geschlossen ist. Sonst habe ich bis jetzt niemand gesehen. Am Ortseingang setzt er sich hin, ich gehe den Weg weiter – hinter den Bahngleisen, über sie drüber zur großen Kirche. Sie ist vom Bauzaun umgeben und geschlossen. 9 Uhr, normal für Spanien. Am der übernächsten Straßenecke ist eine Bar offen, Pilger sitzen davor. Pause ist mir noch zu früh. Im Supermarkt danebenschoss ich mir zwei Pfirsiche und gehe weiter. In dieser Straße wir es immer schmuddeliger, zwei Hand voll Kids stehen rum, jetzt sehe ich die Inschriften der beiden Diskos. Dann geht es gleich zur Stadt hinaus, über eine schöne Brücke mit einem Steinkreuz davor. Ein schönes Bild, das ich von Shagún in Erinnerung behalten werde. Vorbei an einer Camping-Anlage komme ich bald wieder auf die Schotterpiste nach Bercianos. Landschaft immer noch Meseta, eintönig, Sonne, am Wegrand zum Glück einige Bäumchen. Und keine Pilger zu sehen, weder vor noch hinter mir. Ich versuche es mit Singen, geht aber auch nicht lang. Dann hänge ich meinen Gedanken nach, kann mal meine Problemchen wälzen.
Am Ortseingang von Bercianos ist eine einladende Bar. Kakao-Stopp. Der Chef spricht mich auf Deutsch an, ich will ihn nicht auf das Spanien-Spiel gestern ansprechen. Vor der Bar sitzend sehe ich jetzt eine ganze Reihe Pilger vorbeiziehen, auch bekannte, wie das AUS-NL-Paar. Wassertank auffüllen, es sind jetzt 1,5 Stunden nach El Burgo Ranero. Meine Füße rufen sehr heftig nach Aufhören. Ich habe heute die 24 km geplant, mehr nicht. Versprochen. Ich habe Glück und bekomme gerade noch einen Platz in der Albergue Laguna. Zum Einchecken muss ich etwas warten, da mache ich Bekanntschaft mit einem braungebrannten Vierziger, den ich Schon gesehen habe. Er stellt sich als Andreas aus Sachsen-Anhalt vor. Er ist seit dem 3. März unterwegs, von zu Hause losgegangen. Weil sein Vater vier Monate im Koma lag und im Februar gestorben ist. Er ist seit Saint Jean mit einer sechsköpfigen Gruppe aus Italienern, Franzosen und Argentiniern zusammen. Weil die beiden Frauen Probleme mit der Hitze haben, werden sie heute Nacht nach Leon marschieren.
Die Herberge hat einen großen Garten, den kann ich genießen, denn es ist erst kurz nach ein Uhr. Nach Duschen usw. Mache ich mein Nickerchen auf einer Gartenliege, dann schreibe ich Bericht. Da die Herberge kein Essen anbietet, gehe ich jetzt ins Dorf. Ich setze mich zu einem Australier (ca. 55), der von seiner Firma in Sidney entlassen wurde. Jetzt will er nachdenken, was er tun soll. Vom Nebentisch hören wir, dass Australien heute gegen Chile verloren hat. Von ihm erfahre ich, dass ich Sahagún Unrecht getan habe: Sie hatten am Vortag Stiertreiben durch die Stadt und dann bi in den Morgen gefeiert – ich habe also die verkaterte Stadt gesehen.
Obwohl die Sonne noch stechend scheint, macht der heftige Wind sehr ungemütlich, man kann außen nicht mehr sitzen. Zwanzig nach Neun, es wird sehr ruhig in der Anlage. Zu-Bett-Geh-Zeit.

Tag 16: Die Hitze der Meseta (13.06.14)

Tag16_5 Tag16_4 Tag16_3 Tag16_2 Tag16_1Laut Reiseführer soll jetzt der härteste Streckenabschnitt kommen: von Carrión de los Condes nach Calzadilla de la Cueza, weil: 18 km, kein Dorf, durch die Meseta, ohne Baum und Strauch. Ergebnis: Um 6 Uhr war der Schlafsaal (24 Betten) bis auf 3 leer. Ich glaube, die ersten waren schon um 5 auf. Der Holländer erzählte mir zwei Dörfer später, dass er wegen der schlimmen Blasen seiner Frau mit ihr schon um 4 los wäre. Mondschein sei ausreichend gewesen.
Jedenfalls kippte ich heute 2,5 Liter Wasser in meine Rucksack-Tank. Beim Frühstück traf ich Ernst und Herbert, wir waren uns schnell einig, dass alles viel Getöse und Angst der (vor allem jungen) Pilger sei. Um halb sieben startete ich dann. An der Stadtgrenze überholte ich mein Koreaner-Ehepaar und biege dann auf die Pilger-Autobahn ein. Unglaublich: Pilger, soweit das Auge reicht. Und die Strecke ist schnurgerade. Die Wegqualität lässt höheres Tempo zu, also darf sich meine Gehmaschine auf Eigenfrequenz einstellen. Ich überhole Bekannte und Unbekannte, z. B. den fülligen Asiaten, der gestern Abend um halb sieben völlig erschöpft in die Herberge kam und einen Platz im Flur bekam, oder das lustige Asiatenpärchen, das gut in die Landschaft passt (Don Qijote und Sancho Pansa), den lauten Italiener, besonders viele Junge. Die ersten 1,5 Stunden ist der Weg voll beschattet – da haben die Spanier gute Arbeit geleitet. Dann werden die Bäume und Büsche langsam weniger, aber immer noch schattenspendend. Und dann die Überraschung: Eine „Autobahnraststätte“, bewirtet. Die Plätze sind schon voll. Und eine halbe Stunde später die nächste, ohne Bewirtung. Schuhe ausziehen, um Steine zu entfernen, das Küchenstückchen von gestern Abend essen. Die amerikanische Abendessen-Tischnachbarin bietet mir Kirschen an, dann ist der Boxenstopp gemacht. Trinken tue ich laufend von meinem H2O- System, das ist schon sehr praktisch. Dann nach einer Linkskurve kommt das Zieldorf, es ist erst 3/4 10! Guter Lauf! In der Bar ist Hochbetrieb, viele Bekannte, auch der koreanische Pfarrer mit seiner Truppe. Kakao-Pause. Wasser nachfüllen. Mindestens ein Dorf weiter, es sind ja erst 18 km. Dort bin ich eine Stunde später, in der Bar treffe ich wie erwähnt das niederländisch-australische Paar. Sie schreibt auf ihrem Mac-Book den Reisebericht, er fotografiert ja. Schönes Zusatz-Gewicht. Aber ich gehe auch weiter, es ist erst 11. Für die nächste Ortschaft ist mir Aufhören auch noch zu früh, in Terradillos de Templarios haben die Templer eine von außen sehr ansprechende Herberge, aber sie ist nicht optimal bewertet. Ich verspreche meinen Füßen, im folgenden Moratinos Schluss zu machen. Dort sehe ich die drei Alaska-Girls in Richtung Herberge gehen. Im Garten sitzen vier Gäste und meinen, der Wirt würde bald kommen. Da sich nach 5 min nichts tut, stehen die drei wieder auf und gehen. Motiviert mich, mit zu gehen. In San Nicolás geht das Einchecken flott, im OG sind die getrenntgeschlechtlichen Schlafräume und umfangreiche Sanitärräume. Duschen, Hemd und Socken waschen, Nickerchen machen. Es waren heute 34 km. Respekt.
Zum Glück gibts gutes Wifi. Bericht schreiben. Ich gehe mal um Haus und Kirche. Brutale Hitze. Bestimmt 35 Grad. Jetzt um 5. Santa Missa nur an Domingo, 11 Uhr. Das NL-AUS-Pärchen ist auch eingetroffen. Und da trotz ihrer Blasen! Im Gärtchen wäscht ein Radler-Gast seine Packtaschen. Sollte ich vielleicht meine Schuhe auch mal schrubben? Sie bräuchtens dringend, doch die Lust ist gering. Ich ringe mich durch, unten kommt zur Tür herein – ich glaube es nicht – der füllige Asiate. Jetzt um 6 Uhr! Und in der Hitze! Der gibt sich aber alles! Diesen Namen muss ich mir merken: Can Tsin Tchun. Aus Korea. Ü
Um 1/2 8 gibts Abendessen, sonst nichts im Dorf.
Um 9 Uhr kommt Spanien gegen NL. Dann wird’s laut werden in der Bar unten.

Tag 14: Im D-Zug-Tempo nach Fromista (11.06.14)

Tag14_3 Tag14_2 Tag14_1Nach Wunsch-Frühstück (Kaffee, O-Saft und süßem Stückchen) ging’s um 3/4 7 Uhr los, nach 1 km geht hinter mir die Sonne auf. Dann zieht es sich zu, was sich dann als angenehm erweist. Gegen 9 sind nämlich die Wolken weg und die Sonne sticht, am Nachmittag wird es richtig heiß. Bei den drei z. T. steilen Aufstiegen bewirkt da Schweißbäche. Aber meine Maschine läuft konstant zuverlässig, an den Steigungen überholen mich nur zwei sportlich gekleidete Italiener. Das passiert noch 3 mal. Vor Castrojeriz treffe ich 3 Lehrerinnen aus Alaska, eine davon war mal in Starnberg in der Munich International School (u. A. Kleinfeld-Kinder). Um 10:30 bin ich am Kloster San Nicolás, wo die 12 Übernachtungsgäste die Füsse gewaschen bekommen. Hier bleiben reizt, aber das bedeutet 1/2 Tag! So gehe ich weiter, nach Itero de la Vega mache ich Obst-Mittagessen mit 4 jungen Koreaner. Lustigerweise kommt später „mein“ koreanisches Ehepaar vorbei. Auf der Strecke kommen zwei seniore Jungs (meine Altersklasse) entgegen. Auf meine Frage erklären sie, dass sie nach Lourdes unterwegs seien, von Santiago kämen und in Lissabon gestartet seien. Wow! In Boadilla del Camino trinke ich Kakao und beschließe, dass zwei Uhr noch zu früh ist, um aufzuhören. Fromista, ich komme! Übernachtung habe ich in der Bahnhofsherberg, das ist die umgebaute Güterhalle neben dem Bahnhof. Bin gespannt, wieviel Züge heute Nacht durch den Schlafraum donnern. Zwei Auto-Transporter und ein Avé waren Schon da. Mit Hupe. Dann kommen noch zwei Pärchen, so sind wir zu fünft zum Übernachten. Mit dem ersten unterhalte ich mich angeregt, sie ist Australierin um war wegen Blasen gerade beim Arzt. (Da will ich meine heute erworbenen vier Blasen gar nichts sagen.) Er ist Holländer, Frotograf und beide gehen nach dem Camino nach Australien. Um 8 gehe ich in der Pilgermesse. Sie ist glücklicherweise in der St. Martins-Kirche, dem weltberühmten romanischen Bau von 1066. Das Vorbild für viele romanische Kirchen. Ein vollkommen proportionierter Raum mit versch. Kapitelen als einzige Schmuckelemente. Tief beeindruckend.

Tag 15: Auf der Pilgerautobahn (12.06.14)

Tag15_4 Tag15_3 Tag15_2 Tag15_1Der Reiseführer beschreibt den heutigen Weg als Pilger-Autobahn. Passt. Denn nach der Brücke an der Stadtgrenze blicke ich auf eine kilometerlange, schnurgerade, zwei Meter breite Piste mit Pilgern wie an der Perlenschnur. Etliche haben im Ort vorher übernachtet, wie ich auch vor hatte, sind also schon eine Stunde länger als ich auf den Beinen. Wie „mein“ Koreaner-Ehepaar und die drei Alaska-Girls. Weil mein Motor wieder optimal läuft und die Blasenschmerzen verdrängen kann, überhole ich etliche Unbekannte: Laute Italiener (der mit dem Sonnenschirm als Hut war gestern in der Pilgermesse), ruhige Franzosen-Paare, ein gemischtes Brasilien-Spanien-Paar und vier junge Koreaner. Der Weg geht so weiter, in Villamentero mit der über dem Dorf thronenden Kirche gibts den geplanten Kakao und Wassertank-Nachfüllung, um dann nach den zweiten 10 km um halb 12 in Carrión de los Condes an meiner Wunsch-Pfarrer-Herberge anzukommen. Zunächst sehe ich sie nicht vor lauter Marktständen, doch dann fallen mir die 30 z. T. jungen Leute in der Reihe auf. Die Herberge öffnet erst um 12, und so komme ich ins Gespräch mit den Koreanern vor mir. Davon stellt sich einer als 34-jährigen Japaner heraus, der z. Zt. auf Welt- Tour ist. Der Sonnenbebrillte, der in Deutsch anfängt, ist katholischer Pfarrer und hat in Bonn promoviert und dort für die China-Mission strategisch gearbeitet. Erzählt interessante Dinge. Jetzt ist er im Süden Koreas Gemeindepfarrer. Er verrät mir, dass er 50 ist. Für Europäer schwer zu erkennen. Und warum sind so viele Koreaner auf dem Camino? 40% aus religiösen Gründen. Und in Korea (10% Katholiken) sei der Camino recht bekannt.
Als die Tür aufgeht, steht eine freundliche junge Nonne da und weist alle ein. Drei freiwillige weibliche Hospitaleros ziehen die Anmeldung und Einweisung durch. 48 Gäste sind gleich eingebuchtet, die zwei Schlafräume sind voll. Gut gelaufen heute Morgen! Die Schwester gibt noch den Tagesablauf bekannt: um 17:30 Andacht, dann gemeinsames Singen; um 20:00 Pilgermesse und anschl. Gemeinsames Abendessen. Jeder bringt was mit, z. B. selbstgekochtes Landestypsches. Mhm. Bin gespannt.
Jetzt muss ich los, denn ich brauche was für morgen, denn da kommt die härteste Einzelstrecke: 18 km ohne Dorf und Wasser. Da stehen die Ersten bestimmt schon um 5 Uhr auf!

Tag 13: In die Meseta (10.06.14)

Meine drei Mitpilger wollten eigentlich länger schlafen, doch dann gehen sie doch mit mir zum Frühstück in die Bar gegenüber. Dann ein wirklich finales Verabschieden und ich gehe los. An der Kathedrale ein letzter bewundernder Blick, ein Foto vom Storch auf der kleinen Kirche ein Paar Schritte weiter, dann gilt die volle Aufmerksamkeit den Muscheln und Pfeilen für den Camino. Dann bin ich bald auf der Schotterpiste, km- weit eben. Im ersten Dorf, Tardajos, nach 11 km ist die Bar am Dorfeingang schon gut besetzt: Auch die drei Ungarinnen machen schon ausgiebig Brotzeit. Ich nehme eine Kakao und kaufe für mein Mittagpicknick noch zwei Tomaten und ein bisschen Wurst. Das habe ich nach den nächsten Dorf, Hornillos del Camino, in weiteren 9 km geplant. Ich schaffe das Dank meiner verschärften Gangart, und so bleibt mir der letzte 10 km-Abschnitt für 1 bis 3 Uhr.
Seit Rabè de las Calzadas bin ich in der Meseta, das ist eine Hochebene, in den wenigen Tälern liegen die Dörfer. Das bedeutet für Peregrinos einen steilen Anstieg nach dem Dorf und eine ebenso steilen Abstieg ins Dorf hinunter. Genau wir hier in Hontanas, wo ich in die kommunale Herberge bin. Das ist hier ein rühriges Dorf, es gibt noch drei private Herbergen, und am Dorfeingang wird ein Haus neu verputzt. Die Dorfstraße ist bevölkert, auch die Einwohner sitzen mit dabei und unterhalten sich lautstark. Ernst hat sich heute mit seinem Mitpilger Herbert ein Doppelzimmer geleistet (wegen des Schnarchkonzerts letzte Nacht), das Koreaner-Ehepaar vom 2. Tag sitzt neben mir auf der Sonnenseite, sie häkelt. Auf meine Frage hin, was das wohl sei, schenkt sie mir einen ihrer gehäkelten Topfputzer. Abendessen bekam ich auf Wunschzeit gekocht, also bin ich schon fertig für heute.
Morgen wartet wieder eine 30km- Etappe auf mich, gerne würde ich in der kleinen Herberge von St. Nicolás unterkommen. Früh Aufstehen!